Sich gegenseitig stärken

Von Monika Fischer-Langenbein, RegionalsprecherInnenkreis Anthropoi Bayern

Seit nunmehr drei Jahren mischen sich Menschen mit Assistenzbedarf in der Regionalkonferenz Anthropoi Bayern in das Bild der anwesenden Mitglieder. Bei einer regelmäßigen Anwesenheit von ungefähr 40 TeilnehmerInnen, sind die 8 bis 12 Menschen mit Assistenzbedarf die größte Fachgruppe unter den beteiligten VertreterInnen der Einrichtungen und Fachbereiche. Die SelbstvertreterInnen nehmen an der gesamten Konferenz teil. Für einen Zeitabschnitt teilt sich die Gesamtkonferenz in verschiedene Gesprächsgruppen der einzelnen Fachbereiche und auch die SelbstvertreterInnen bilden eine eigene Arbeitsgruppe. In dieser Kleingruppenarbeit bearbeiten und debattieren sie die unterschiedlichsten Themen, manchmal sehr kritisch. Schwerpunkt ist dabei immer ihre Selbstbestimmung. Die Gespräche werden von zwei Assistentinnen begleitet. In regelmäßigen Abständen werden sie auch von VertreterInnen der Fachstelle für Gewaltprävention Süd informiert und beraten.

Mit großem Interesse und sensibler wertschätzender Offenheit werden Themen angesprochen wie: Wie will ich wohnen? Wie selbständig kann ich wohnen? Welche Hilfe brauche ich dazu? Wie steht es um die Mitbestimmung in der Dorfgemeinschaft? Auch der Austausch über den Umgang mit BewohnerInnen, der Austausch über die Zusammenkunft in den Regionalkonferenzen und natürlich das große Thema Inklusion oder die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen werden hier angesprochen. Es besteht großes Interesse an Lebens- und Arbeitsbedingungen der KollegInnen: Wie leben sie in den anderen Lebensgemeinschaften? Wie können wir uns miteinander vernetzen? Wie können wir in Kontakt bleiben? Die SelbstvertreterInnen beschäftigen sich aber auch mit gesellschaftlichen und politischen Fragen: Wie können Vorurteile abgebaut werden? Warum wird unsere Arbeit in den Werkstätten nicht anerkannt und warum ist der Werkstattlohn so niedrig? Auch lebenspraktische Probleme wie die schwere Suche nach einer eigenen Wohnung werden angesprochen und wie schwer es sein kann, sich eine eigene Meinung zu bilden. Kritisch äußerte sich z.B. eine junge Frau, die sich immer noch darüber ärgert, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h auf dem Gelände ihrer Einrichtung von den AutofahrerInnen nicht eingehalten wird. Am liebsten würde sie einen echten "Blitzer" aufstellen und richtig abkassieren.

Sind VertreterInnen der Fachstelle Süd für Gewaltprävention an den Gesprächen beteiligt, sensibilisieren sie die TeilnehmerInnen für die Strukturen und Aufgaben der Vertrauensmeldestellen. Die Vertrauensstellen bieten in allen Einrichtungen von Anthropoi Bundesverband BewohnerInnen, MitarbeiterInnen aber auch Angehörigen in Fragen von Gewalt und Übergriffen niederschwellige Beratung und erste Hilfe an. Zum anderen bieten diese Gespräche mit den MitarbeiterInnen der Fachstellen Raum für einen offenen Austausch zu einem anderen sehr wichtigen Thema: Nämlich zu Freundschaft, Sexualität und Partnerschaft. Hier werden dann auch mal Unzufriedenheiten über Strukturen in der Paarbegleitung geäußert, etwa über Bestimmungen und Regeln, welche eingehalten werden müssen, die aber von den BewohnerInnen nicht mehr als angemessen angesehen werden. Ein Beispiel war, dass Paare in einer Einrichtung, die noch nicht zusammenwohnten, um 21 Uhr zu Hause sein mussten und vielleicht auch noch gleich ins Bett gehen sollten, weil sie sonst einen Rüffel von den BetreuerInnen bekamen.
Dabei bestärken sich die Menschen mit Assistenzbedarf gegenseitig, solche Probleme immer anzusprechen und gemeinsam zu bearbeiten. Diese Kultur des gemeinsamen Gespräches und der Diskussion von Problemen - auch mit Menschen aus anderen Einrichtungen - führt dazu, dass sich die Menschen mit Assistenzbedarf in der Regionalkonferenz gut integriert und in ihrem Selbstbewusstsein gefördert und verstanden fühlen. Zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit war es für alle eine große Frage, wie das Thema Einfache Sprache bewältigt werden könnte. Mit großer Offenheit und dem Bemühen aller Beteiligten konnte jedoch, zur Zufriedenheit aller, schnell ein gegenseitiges Verstehen erreicht werden. Die Freude darüber, sich regelmäßig mit Delegierten anderer Einrichtungen austauschen zu können, neue Menschen und andere Einrichtungen kennenzulernen, beflügelt seitdem die Arbeit in der gesamten bayerischen Regionalkonferenz.

Bericht 2017 | Soziale Zukunft

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Broschüre Bericht 2017, die zum Kongress Soziale Zukunft 2017 herauskam. Die ganze Broschüre kann hier heruntergeladen werden.

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