Räte beraten

Von Adelheid Hahnemann, Sprecherin der Regionalkonferenz Hessen.

Schon vor Jahren machte sich der Fachbereich LebensOrte von Anthropoi Bundesverband dafür stark, die Mitwirkung der Menschen mit Assistenzbedarf zu stärken. Es wurde aufgerufen, nicht nur in den LebensOrten – also den Lebens- und Arbeitsgemeinschaften oder ambulanten Wohnangeboten – selbst, sondern auch auf Verbandsebene, z.B. in den Regionalkonferenzen, Menschen mit Assistenzbedarf selbst zu Wort kommen zu lassen. Kein einfaches Unterfangen, haben wir doch innerhalb des Verbandes gewohnte und eingespielte Strukturen, komplexe Themen und eine Sprache, die nicht immer verständlich ist. Es bedarf Veränderungen!

Wir wollen nicht über, sondern mit den Menschen mit Assistenzbedarf als Selbstvertreter*innen, als Bewohner*innen in den LebensOrten und als Beschäftigte der Werkstätten sprechen. So ist auch die Regionalkonferenz der hessischen Einrichtungen und Schulen neue Wege gegangen. Ein wenig naiv, das muss man im Rückblick schon selbstkritisch sagen, hat die Regionalkonferenz Hessen vor ungefähr vier Jahren Einrichtungs- und Werkstatträte als Selbstvertreter*innen zu den Regionalkonferenzen eingeladen. Gekommen sind viele. Auch auf regionaler Ebene tätig zu sein und sich zu Wort zu melden, erscheint vielen wichtig. Doch die Regionalkonferenz hatte ihre Struktur nicht verändert und sich nicht auf die neuen Teilnehmer*innen mit Behinderung eingestellt: Man sah einigen Gesichtern an, dass sie den Themen, von Sozialpolitik bis anthroposophische Grundlagen, so wie sie hier in gewohnter Art und Geschwindigkeit besprochen wurden, nur schwer folgen konnten. In den kommenden Konferenzen blieben die Selbstvertreter*innen mehr und mehr weg. Inklusive Konferenzen passieren nicht einfach so: Die Regionalkonferenz Hessen versuchte also einen Neugriff. Die Delegierten der Einrichtungen sprachen jetzt auch andere Menschen mit Assistenzbedarf an, nicht nur die "Räte", die sowieso schon aktiv im Heim- oder Werkstattrat mitarbeiten. Auch auf Bundesebene wurde nämlich deutlich, dass die engagierten Einrichtungs- oder Werkstatträte bereits viele Aufgaben haben und an verschiedenen Stellen mitarbeiten, und das oft auch auswärts. Z.B. bei den Treffen des Anthropoi Werkstattrates oder von Bildungsangebote MitMenschen. Aus Überforderung haben sich einzelne Selbstvertreter*innen entschieden, sich auf ihre Kernaufgaben in der eigenen Einrichtung zu konzentrieren. Welch ein Mut!

Seitdem üben wir gemeinsam in der hessischen Regionalkonferenz, wie ein gutes und sinnvolles Miteinander gelingen kann. Es hat sich mittlerweile ein fester Stamm an Selbstvertreter*innen gebildet, der regelmäßig kommt. Zu Beginn stehen in der Regel die Berichte aus den Einrichtungen auf der Tagesordnung. Da kann jeder zu Wort kommen, es wird Raum gegeben. Da wir die Berichte immer mit einem Themenschwerpunkt belegen, kann man sich darauf konzentrieren. So wie es Themen gibt, die nur die Geschäftsführer*innen ansprechen, andere, die die Schulen einbringen, wieder andere, die von Allgemeinbedeutung sind, teilt sich die gesamte Regionalkonferenz nachmittags in verschiedene Gruppen auf. Auch die Selbstvertreter*innen haben ihre eigene Gruppe und bewegen dort Fragen, die sie einbringen. Das hat mittlerweile so viel Gehalt, dass sie diesen Raum erweitern.
Spannend war auch die Frage Anfang diesen Jahres: Wie wollt ihr angesprochen werden? Was soll auf der Einladung stehen? "Selbstvertreter ist doch doof, wir sind glücklich mit dem Wort Räte, denn wir wollen alle, die in den Einrichtungen arbeiten oder sie leiten, beraten!". Beratung scheint das Stichwort zu sein!

Eine gute Beratung und Begleitung, die Zeit und Raum und eine klare Sprache zur Verfügung stellt, ist ausschlaggebend für den Erfolg. So kommt den Kolleg*innen in den Einrichtungen eine wichtige unterstützende Funktion zu. In der Regionalkonferenz selbst, haben sich die "Räte" eine bestimmte Begleitperson gewünscht und sie erhalten. Ein "Geheimnis" ist sicherlich auch, dass sie die Aufgabe wirklich ernst nimmt und damit auch die Räte. Jeder kennt jeden, die Atmosphäre ist entspannt und die Themen wichtig. Auf dieser Vertrauensbasis kann man zusammenarbeiten. Beziehungen entstehen, ja sogar Freundschaften. Die Räte sollen sich weder unserem Stil unterordnen müssen noch irgendwie "Möchtegern" behandelt werden. Alle Seiten haben eine hohe Flexibilität miteinander und Geduld, zu wachsen. Ein Stück weit muss man die Räte so nehmen wie sie sind (und nicht meinen wie sie sein sollten, oder gar Angst haben vor zu viel Eigenständigkeit). Dann braucht es eine Vision vom Sinn der Zusammenarbeit (die ist nun wirklich vorhanden) und zu allem braucht es ein gutes Zuhören, damit ein Gespräch entstehen kann – Hinhören trifft es sogar noch besser. Im abschließenden Plenum wird berichtet und die Dichte dessen, was den Räten auf der Seele brennt, beeindruckt.

Da jedes Mal eine andere Einrichtung die Regionalkonferenz einlädt, kommen wir viel rum. Jeder Ort birgt etwas Einzigartiges und das kann jeder wahrnehmen und mitnehmen. Mal "über den Tellerrand schauen", birgt so manches Wunder.

Bericht 2017 | Soziale Zukunft

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Broschüre Bericht 2017, die zum Kongress Soziale Zukunft 2017 herauskam. Die ganze Broschüre kann hier heruntergeladen werden.

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