Resilienz als Vorstufe einer Postwachstumsgesellschaft?

In einer sich immer schneller verändernden Welt spüren wir alle, wie uns die Folgen unseres wirtschaftlichen Erfolgs mit aller Kraft einholen. Zwar nutzen wir unsere natürlichen Ressourcen so effizient wie noch nie und konnten daher einen nie dagewesenen Wohlstand erreichen. Gleichzeitig bestehen folgende Entwicklungen: Wir würden bald zwei Erden brauchen, um unseren Ressourcenverbrauch nachhaltig zu sichern; volkswirtschaftliches Wachstum in der westlichen Welt tendiert gegen Null; wir schaffen es nicht, die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern und es entstehen neuartige Epidemien wie Depression und Burnout.

Auf volkswirtschaftlicher Ebene wird dagegen immer noch auf Effizienz- und Wachstumsstrategien gesetzt, und der globale Wettbewerb ohne soziale Ausgleichsmechanismen befördert. Wache Organisationen entwickeln ein Bewusstsein, dass die Strategien der Vergangenheit nicht mehr lange erfolgreich sein werden und setzten auf Innovations- und Anpassungsfähigkeit – sie versuchen resilienter zu werden. Es werden neue Organisationsformen mit vielen kleinen unabhängigen Einheiten gebildet, Verantwortung nach unten delegiert und MitarbeiterInnen dadurch zu sogenannten IntrapreneurInnen "umerzogen". Das hat oft zur Folge, dass es nicht mehr ausreicht, in einem Bereich Experte zu sein. Die begrenzte Zeit wird nun nicht mehr nur effizienter gemanagt, sondern durch neue Methoden und Prozesse versucht, zu verdichten. Für viele Menschen, gerade im sozialen Bereich, ist diese Veränderung eine zusätzliche Belastung. Meist merken Organisationen nicht, dass sie mit diesen neuen Strategien im gleichen Narrativ stecken bleiben: Sie wenden Effizienzstrategien an, um klassische Wachstumsziele zu erreichen. Sinn und Selbstwirksamkeit werden auch auf persönlicher Ebene zur Maxime erhoben, ohne die dahinterliegenden Status- und Wachstumsnarrativen zu hinterfragen.

Postwachstum möchte einen Schritt weitergehen, bzw. die Resilienz-Strategien durch den Suffizienz-Gedanken ergänzen. Resilienz bedeutet Anpassungsfähigkeit – beinhaltet aber noch keine Zielrichtung. Um neben der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit auch die ökologische und soziale zu erreichen, brauchen wir einen Richtungswechsel. Dieser Richtungswechsel muss in Richtung eines Weniger gehen. Nur durch eine Genügsamkeit, die uns erlaubt „weniger haben wollen zu können“ (Marianne Grönemeyer) – werden wir eine Transformation in Richtung ganzheitlicher Nachhaltigkeit schaffen, die uns nicht durch Katastrophen aufgezwungen wird.

Ein erster Schritt auf dem Weg in eine Postwachstumsgesellschaft ist das Offenlegen der Wachstumszwänge und -treiber und eine klare Positionierung dazu: Welches Wachstum ist für die jeweilige Person und Organisation erstrebenswert, und welche nicht? Wie lässt sich dafür sorgen, unabhängiger von den nicht gewünschten Zwängen zu werden und eine optimale Organisationsgröße zu erreichen? Ein nächster Schritt kann das Üben von Suffizienz-Strategien und Genügsamkeit sein, also das „weniger haben wollen können“. Die Schwierigkeit besteht hier in einem Kulturwandel, der anschlussfähig an die gegebenen Rahmenbedingungen sein muss und trotzdem die nötigen Veränderungen ermöglicht.

Sozialwirtschaft als Reallabor für Nachhaltigkeit Gerade in der Sozialwirtschaft ist die Notwendigkeit eines Kulturwandels spürbar: Sinkende Zuschüsse, grundlegende gesetzliche Neuerungen, Wettbewerbsfähigkeit, Inklusion, demografischer Wandel. Dies sind nur einige der strategischen und operativen Herausforderungen für Einrichtungen der Sozialwirtschaft. Da scheint es kaum möglich, einen Schritt zurückzutreten und das eigene Handeln in einem größeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang zu betrachten und zu reflektieren: Ist unser Handeln nachhaltig? Sind wir in lokale, regionale, nationale, gar globale Zusammenhänge eingebunden? Wie wirken wir dort?

Die Einrichtungen des anthroposophischen Sozialwesens haben eine lange Tradition, sich tiefgründig mit dem Thema sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und diese auch umzusetzen. Resilienz ist hier wichtig, nicht nur, um im Markt zu bestehen, sondern auch, um der sensiblen Zielgruppe gerecht zu werden.

Zentrale Elemente anthroposophischer Angebote zur Teilhabe am Arbeitsleben sind handwerkliche Tätigkeiten und Selbstversorgung sowie eine überschaubare Produktion und regionaler Vertrieb. Dies ermöglicht den von den Einrichtungen und Diensten begleiteten Menschen mit Assistenzbedarf das ganzheitliche Miterleben der Produktion – vom Naturrohstoff bis zum Endprodukt inklusive KundInnenkontakt – und hat damit einen hohen Teilhabeeffekt und ermöglicht Selbstwirksamkeit.

Suffizienz (Genügsamkeit), Subsistenz (Selbstversorgung), Regionalversorgung sowie geschlossene Stoffkreisläufe und regenerative Energieversorgung stellen auch Elemente einer resilienten, das heißt einer widerstandsfähigen und innerhalb der Grenzen des Wachstums stabilen Ökonomie (Postwachstumsökonomie) dar. Die anthroposophischen Teilhabeangebote haben mit den von ihnen angestrebten Qualitäten daher gleichzeitig das Potenzial, als Reallabore einer zukunftsfähigen Ökonomie zu dienen und Lösungsansätze für aktuelle globale Probleme im Kleinen aufzuzeigen. Dadurch besteht zudem das Potenzial, das gesellschaftliche Bild von Menschen mit Assistenzbedarf zu wandeln und ihre gesellschaftliche Inklusion zu erhöhen.

Vor diesem Hintergrund wurde das Projekt „Wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit von Angeboten des anthroposophischen Sozialwesens zur Teilhabe am Arbeitsleben“ von Anthropoi Bundesverband in Zusammenarbeit mit der Software AG-Stiftung initiiert. Ziel ist die Förderung von wirtschaftlicher Resilienz in den Einrichtungen und die Kommunikation und Weiterentwicklung der Teilhabe- und Wirtschaftsleistungen auf dem Weg in eine Postwachstumsgesellschaft. Schwerpunkt des Projekts ist der Grüne Bereich, also eine regional ausgerichtete, ökologische Landwirtschaft, Gärtnerei oder auch verarbeitende Betriebe, die als Sozialtherapie betrieben werden.

In dem Projekt wurden 15 Mitgliedseinrichtungen von Anthropoi Bundesverband besucht. Dabei zeigen sich wiederkehrende Herausforderungen sowie viele Erfolgsgeschichten, die es verbandsintern, aber auch darüber hinaus, zu kommunizieren gilt. Neben der Analyse und der Kommunikation von Herausforderungen und Geschichten des Gelingens werden im Rahmen dieses Projekts einzelne Einrichtungen bei der Bewältigung interner Veränderungsprozesse begleitet, hin zu einer resilienteren und suffizienteren Wirtschaftsweise.

Bericht 2017 | Soziale Zukunft

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Broschüre Bericht 2017, die zum Kongress Soziale Zukunft 2017 herauskam. Die ganze Broschüre kann hier heruntergeladen werden.

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